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Was ist ein Arzt ohne sein Stethoskop? Eine Chirurgin ohne ihr Skalpell? Oder gar eine Apothekerin ohne Medikamente? Sie können nicht ohne einander. In der Gesundheitsberichterstattung werden die einzelnen Instrumente, Geräte und Arzneimittel dennoch oft zu wenig berücksichtigt. Anders in der Kolumne von Sonja Gibis. Hier kommen die Gegenstände selbst zu Wort und berichten humorvoll aus ihrer Geschichte und ihrem Alltag. In dieser Folge: der Ballonkatheter.

Mit Ihnen begrüße ich heute einen Gast, der Millionen Menschen gerettet hat. Zur vollen Entfaltung kommen Ihre Fähigkeiten allerdings im Verborgenen: im Herzen.

Und das ist gut so. Sie würden mich sonst gar nicht durch die feinen Blutgefäße schieben können, durch die ich zum Herzen gelange. Dass das klappt, wollte meinem Schöpfer ja zuerst niemand glauben. Bis er alle Zweifler eines Besseren belehrte. Nennen Sie mich ruhig aufgeblasen: Aber ohne ihn könnten viele Kardiologinnen und Kardiologen herzkranken Menschen kaum mehr als Medikamente verschreiben. Vor genau 50 Jahren änderte sich das grundlegend.

Was passierte damals?

Ich hatte meinen ersten spektakulären Auftritt. Und zwar in einer verengten Beinarterie. Mein Erfinder, Andreas Grüntzig, führte dazu einen dünnen Katheterschlauch ganz vorsichtig durch ein Blutgefäß bis zur Engstelle. Dort zeigte ich, was in mir steckt: Mein Herzstück, wenn ich so sagen darf, besteht aus einem Ballon. Dieser wird an der Engstelle aufgeblasen. Das Gefäß weitete sich, das Blut konnte wieder fließen.

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Eine Herzkatheteruntersuchung erfolgt zur Diagnose und oft auch Therapie von Erkrankungen der Herzkranzgefäße, der Herzklappen und des Herzmuskels sowie bei Rhythmusstörungen zum Artikel

Einfach, aber genial. Wie kam Ihr Schöpfer darauf?

Ich würde es schlicht Genialität nennen. Um heute in der Medizintechnik etwas Neues zu schaffen, tüfteln Labore oft jahrelang. Meinem Erfinder genügte ein Küchentisch. In seiner Wohnung in Zürich hantierte er dort mit Klebstoffen, probierte Ballons in verschiedenen Formen aus, um seine Idee zu verwirklichen: einen Katheter, in dem ein aufblasbarer Ballon steckt. Mit ihm hoffte er, etwas erreichen zu können, von dem man zuvor nur träumen konnte: lebensrettende Eingriffe am Herzen ohne großen Schnitt, sogar ohne Vollnarkose.

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Stentimplantation: Stütze für Blutgefäße

Arterienverkalkung führt oft zu Engstellen in den Blutgefäßen. Diese können Ärzte per Ballonkatheter aufdehnen. Stents helfen im Anschluss, die Gefäße offen zu halten zum Artikel

Ist das denn so oft nötig?

Sie wissen, was eine koronare Herzerkrankung ist, oder?

Ja, natürlich. Dabei verengen sich die Herzkranzgefäße.

Genau, daran leiden sehr viele Menschen – und oft kann ich helfen. Bei dieser Erkrankung steigt auch die Gefahr für einen Herzinfarkt. Dabei verschließt sich ein Gefäß komplett. Dann bin ich der Nothelfer: Durch eine Arterie an der Leiste werde ich bis ins Herz geschoben. Auf dem Bildschirm eines Röntgengeräts verfolgte schon mein Vater, wo er sich jeweils genau befindet. Zum allerersten Mal gelang das im Jahr 1977. Ein riesiger Durchbruch!

Dann hat es also funktioniert?

Perfekt sogar. Der erste Patient war gerade mal 38 Jahre alt und wollte eine Bypass-OP vermeiden. Hierfür wird das Herz stillgelegt, der Brustkorb aufgefräst und das verengte Gefäß ersetzt, etwa durch eines aus dem Bein. Damals war das die einzige Möglichkeit der Therapie. Doch dann kam ich. Seither hat sich die Methode weiterentwickelt. So wird die verengte Stelle nicht nur aufgedehnt, sondern meist auch ein Stent eingesetzt. Dieses auffaltbare Gitternetz sorgt dafür, dass das Gefäß offen bleibt.

Ihr Erfinder wurde bestimmt für seine Pioniertat geehrt.

Er machte in der Tat Karriere. Doch wie heißt es so schön: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Dem Kantonsspital Zürich, das seine Ideen nicht förderte, sagte er Lebewohl und ging in die USA. Leider starb er nur fünf Jahre später bei einem tragischen Flugzeugabsturz! Wer weiß, was er sonst noch alles erfunden hätte. Sein erster Patient überlebte ihn tatsächlich um Jahrzehnte. Und zahllose Menschen verdanken ihm seither ihr Leben.


Quellen:

  • Universitätsspital Zürich: Andreas Grüntzig – Die Geschichte der perkutanen Koronarangioplastie. Online: https://www.usz.ch/... (Abgerufen am 11.04.2024)
  • Schlumpf M: 30 Jahre Ballonkatheter: Andreas Grüntzig, ein Pionier in Zürich. Schweizerische Ärztezeitung: https://docplayer.org/... (Abgerufen am 11.04.2024)