Logo der Apotheken Umschau

Die Augen schließen, den Duft einsaugen, ein bisschen süß, grün, würzig. Willkommen auf der Wiese. Diese eine liegt in einem Dorf, unweit von Polen, im Oderbruch. Sie ist auf einem früheren Acker gewachsen und von Weiden, Kornelkirschen, Brombeeren und ein paar Bäumen gesäumt.

Zweimal im Jahr wird sie gemäht, wird Heu gemacht – im Juni und Anfang September. Nebenan, auf einer Wiese, die jetzt Weide ist, steht eine kleine Schafherde. Die Schafe, ihre Weide, die Wiese, sie gehören zusammen – und außerdem gehört der Mensch dazu. Sonst gäbe es keine Wiese.

Zur Entstehung von Wiesen

Ist das denn noch Natur? Nein und ja: Wiesen sind grünes, offenes Land. In ihrer heutigen Form gibt es sie erst, seit der Mensch den Wäldern das offene Land abgerungen und es genutzt hat. Für seine Tiere. Als Weide, auf der Rinder, Schafe und Ziegen grasen. Oder als Wiese, die gemäht wird, um Heu für den Winter zu gewinnen. Weil der Boden, den man dafür nutzte, oft mager war, gab es nur eine solche Mahd im Jahr, vielleicht eine zweite. Dazwischen blieb genug Zeit für Pflanzen und Tiere, um diesen Lebensraum für sich zu erobern. Kräuter, Blumen, verschiedene Gräser.

Insekten, Vögel, aber auch größere Tiere wie der wählerische Feldhase oder Rehe finden bis heute Unterschlupf und Nahrung auf der Wiese. Aber nur solange sie offen bleibt. Wird sie nicht gemäht, kommen erst die Büsche und dann der Wald zurück. Werden die Pflanzen aber zum richtigen Zeitpunkt geschnitten, entsteht ein extrem artenreicher Lebensraum – und bleibt erhalten.

Artenvielfalt schützen

Redakteurin Kathrin Zinkant mit zweien ihrer Schafe – Lendl (links) und Boris – auf der Weide im Oderbruch.

Redakteurin Kathrin Zinkant mit zweien ihrer Schafe – Lendl (links) und Boris – auf der Weide im Oderbruch.

Diese Art der Wiese ist jedoch selten geworden. Und auch das hat mit dem Menschen zu tun. „Auf intensiv genutztem Grasland wird gepflügt, stark gedüngt und oft noch schnell wachsendes Gras eingesät, das mehrfach im Jahr gemäht werden kann“, sagt Klemens Karkow von der Stiftung Nationales Naturerbe des Naturschutzbundes in Deutschland (NABU). Solche Flächen seien mehr Acker als Wiese und artenarm, auch wenn sie nach Wiese aussehen. Wobei auf nährstoffreichem Boden durchaus eine gute Wiese entstehen kann. Wenn sie eben selten gemäht, nicht gedüngt und das geschnittene Gras getrocknet und eingesammelt wird, etwa für die Schafe.

Wie auf der Wiese im Oderbruch. Im Mai wachsen die Gräser dort fast hüfthoch – und wer diese oder eine andere Wiese durchquert, sollte behutsam sein. So wie der Grünspecht im Apfelbaum sein Zuhause gezimmert hat, haben Bodenbrüter ihre Nester im Gras versteckt. Rehe nutzen den Schutz der Wiese im Mai, um ihre Kitze abzulegen. Bitte nicht anfassen! Am Boden krabbeln Käfer und Ameisen, an Halmen haften Puppen von Schmetterlingen. An Blättern hängen schlafende Wildbienen.

Artenbestimmung mittels App

Wer Gräser und Blumen auf der Wiese kennenlernen möchte, braucht nicht mehr als ein Smartphone. Die App „Flora Incognita“ etwa, wissenschaftlich entwickelt, kann Pflanzen bestimmen. Ihre Daten helfen zudem, Erkenntnisse über die Artenvielfalt zu sammeln. Auch die App „Merlin“ für die Vogelbeobachtung ist forschungsbasiert, sie erkennt sogar Vogelstimmen.

Neben dem Handy empfiehlt Karkow, ein kleines Fernglas einzupacken. „Damit kann man nicht nur Vögel beobachten, sondern auch Schmetterlinge betrachten, ohne ihnen zu nahe zu kommen“, sagt der Landschaftsökologe. Und wer sich auf eine Decke legen, in den Himmel schauen und das Summen, Zirpen und Zwitschern genießen möchte, der sucht sich dafür am besten einen Platz am Rand. „Es könnte sonst sein, dass man aus Versehen eine seltene Orchideenart oder eine andere bedrohte Pflanze erdrückt“, sagt Karkow. Also: Augen schließen – und gleich wieder öffnen! Es gibt viel zu entdecken.